Samstag, 12. Juli 2014

Wir und die – Landwirtschaft verpasst gesellschaftliche Strömungen

Die Akzeptanz für die moderne Landwirtschaft ist auf einem neuen Tiefpunkt. Die hierfür verantwortlichen Sachverhalte sind allen Beteiligten geläufig und reichen vom Antibiotikaeinsatz über die Umweltwirkungen von Pflanzenschutzmitteln bis zum Verlust der Biodiversität. Teilweise medial verfälscht und übertrieben, vom Grundsatz aber kaum zu bestreiten. Auch die Qualität der Nahrungsmittel wird in der Öffentlichkeit immer mehr in Frage gestellt. Welche Vorwürfe hier berechtigt, welche überzogen und welche auch fachlich schlicht falsch sind, will ich hier nicht diskutieren. Die gesellschaftlichen Konsequenzen sind davon ohnehin nicht berührt. Das Vertrauen ist verloren gegangen. Welches Bild die Landwirtschaft liefert, hatte ich ja schon hier beschrieben. Vielerorts wird vom Verlust der Deutungshoheit gesprochen.

Gespräche und Diskussionen um die zukünftige Entwicklung der Landnutzung, entwickeln sich dann häufig in eine ähnliche Richtung. Die Probleme der Landwirtschaft werden entweder vollständig negiert oder zumindest stark verharmlost und als eigentliche Ursache der Probleme wird demgegenüber eine mangelnde Sachkenntnis von „Städtern“ identifiziert. Eine Mischung aus dubiosen Umweltorganisationen mit dem alleinigen Geschäftsmodell der Spendensammlung in Kombination mit gleichermaßen inkompetenten und bösartigen Medien trägt permanent zu einer Verschlimmerung der Situation bei.

Soweit so gut, soweit so schlecht – das soll als Analyse der Situation genügen.

Welche Lösungsansätze werden nun seitens der Branche erwogen?

Entweder es wird versucht durch Kampagnen in den klassischen oder den neuen Medien größere Transparenz zu ermöglichen und die Bevölkerung zu informieren und Verständnis zu schaffen. Tage des offenen Hofes, Hoffeste und Webcams sind hier einige Beispiele. Vielleicht ein erster Schritt, aber seien wir ehrlich: Bei meinem Tischler, Dachdecker oder Automechaniker würde ich mir auch keine Webcam ansehen. Im Endeffekt ist eine ständige mediale Teilnahme am Arbeitsleben von bestimmten Berufsgruppen wohl kaum nachgefragt. Hier überschätzt nach meiner Ansicht die Landwirtschaft ihre Bedeutung. Kurzum: Information und Transparenz sind wichtig, aber reichen sicherlich nicht aus. Ob Bauer Meiermüllerschulze nun schon wieder morgens im Stall steht, oder noch Heu macht, obwohl ich geruhsam auf der Terrasse sitze ist mir – mit allem Respekt –persönlich schlicht egal. Bei mir fragt auch keiner nach ob ich Vorlesung habe, Prüfungen abhalte oder eine Gremiensitzung am Wochenende leite. Das möchte ich wirklich auch niemandem zumuten.

Als zweite Reaktionsmöglichkeit wird dann zunehmenden versucht, die Mittel und Wege der öffentlichen Diskussion aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich zu kopieren. Gruppen von Landwirten organisieren sich – teilweise verdeckt - im Internet und erzeugen bei unliebsamen und / oder falschen Berichten in den Medien große Unruhe in den Kommentarfunktionen oder bei Facebook und Twitter. Veränderungen bei Fernsehsendungen auf Grund solcher „Shitstorms“ werden dann als großer Erfolg gewertet á la „was die können, können wir auch“. Na super! Die Landwirtschaft begibt sich hier dann auf das gleiche, niedrige Niveau, der persönlichen Beschimpfung und verbalen Entgleisungen.

Glaubt eigentlich wirklich jemand, dass solche Maßnahmen dann mittel- und langfristig die Akzeptanz verbessern, wobei allen Beteiligten bewusst ist, dass die Entfremdung von der Landwirtschaft allein aus demographischen und ökonomischen Gründen unweigerlich weiter voranschreiten wird?

Nach meiner Ansicht sollten hier zusätzliche Wege und Option ausgelotet werden, denn sicherlich versteht der „Städter“ (ich verzichte hier auf Gendermainstreaming) die landwirtschaftliche Produktion nicht mehr. Aber Gleiches gilt nach meiner Beobachtung auch umgekehrt. Die Bevölkerung auf dem Lande hat den Kontakt zu gesellschaftlichen Strömungen im urbanen Umfeld offensichtlich überwiegend verloren. Arbeits- und Erlebniswelten waren noch nie so unterschiedlich wie heute. Information reicht hier nicht aus, um Gegensätze zu überbrücken. Ob dies als persönliche  Beobachtung ausreichend ist?


Sicherlich ist die Antwort nein, aber wenn ich hier die Situation falsch einschätze, umso besser. Sollte ich richtig liegen, würde ich wie folgt argumentieren. Was kann nun passieren?

Der erste und wichtigste Schritt ist die Beseitigung der tatsächlichen Probleme. Nur wenn die offensichtlichen Fehlentwicklungen korrigiert werden, kann eine weitere Diskussion oder Neu-Positionierung erfolgreich sein. Keine potemkinschen Dörfer – heute heißt dies dann ja eher „window dressing“- sondern reale Fortschritte. An dieser Stelle nicht diskutiert - weil dies oft Beißreflexe auslöst - ist die Frage nach den Ursachen, die in der Regel in einer Mischung aus Politikempfehlungen, Marktentwicklung und Einzelentscheidungen zu finden sind. Die Probleme sind keine Erfindungen von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen oder Parteien mit Umweltschwerpunkt, sondern werden oft auch in der Wissenschaft in gleicher Weise kritisch diskutiert. Wenn man als Wissenschaftler, das nur am Rande, auf diese Sachverhalte hinweist, ergießt sich inzwischen in den Kommentaren der landwirtschaftlichen Presse auch ein entsprechender „shitstorm“. Nicht zuletzt auch ein Grund, weshalb in der Wissenschaft die beschriebene Vorgehensweise in den landwirtschaftlichen Medien und Verbänden sehr kritisch gesehen wird.

Anschließend stellt sich aber natürlich die Frage, ob die sachgerechte Adressierung von Problemen ausreichen wird oder ob es noch weitere Möglichkeiten gibt.

Ich denke nein. Nach meiner Überzeugung sollte die gesamte Branche versuchen gesellschaftliche Strömungen der „ach so bösen Städter“ aufzunehmen und nicht nur den Dialog suchen, sondern auch Produkte und wie es heute so schön im Marketing heißt „Erlebnisse liefern“. Große Teile des Ökolandbaus beschreiten diesen Weg. Aber hier gibt es mehr Optionen und dem Interesse an Ernährung und Landwirtschaft sollte die Branche vorurteilsfrei begegnen und sogar als Chance betrachten.

Einige Beispiele: die Bedeutung von Mikrobrauereien (engl. Craft Biere) ist erheblich angestiegen, es gibt eine Bewegung zur Produktion in den Städten (engl. Urban Gardening). Der gute alte Schrebergarten erscheint hier in neuem Gewandt. Aber eben nicht mit deutscher Vereinsmeierei und Feinrippunterwäsche – bedienen wir einmal Klischees - , sondern schrill und unkonventionell. Junge Leute tanzen die ganze Nacht auf „Schnippeldiskos“ zerkleinern Gemüse und essen anschließend gemeinsam einen selbst zubereiteten Eintopf. Und am Qualitätsende der Skala gibt es so etwas wie Slow Food oder die Küchenguerilla, wo Wertschätzung und Qualität von Nahrungsmitteln im Vordergrund stehen. Die Menschen scheuen hier weder Mühen noch Kosten für ihre Vorstellung von guter Küche.

Ohne Zweifel sind hier soziale Gruppen aktiv, die der ländlichen Bevölkerung fremd sind. Sie sind laut, sie sind tätowiert, sie sind gepierct, hören eine andere Musik und lesen andere Bücher oder surfen im „deep web“ (auch hierin gaaaanz tiefer Griff in die Vorurteilskiste). 

Aber auch diese Menschen haben Ansprüche, sie haben eine Botschaft und sie sind die gesellschaftliche Avantgarde. Ich höre hier schon die Gegenargumente: 75 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher kaufen nur nach dem Preis. Richtig. Aber die restlichen 25 Prozent sind auch ein Markt und – was viel wichtiger ist – sind die Meinungsbildner von heute oder zumindest von morgen, die somit in den nächsten Jahren die politische Diskussion bestimmen werden. 

Und was macht  die Branche? Sie kontert mit Transparenz von Produktionsmethoden die abgelehnt werden, der Erfüllung von gesetzlichen Standards und argumentiert abschließend mit Kostenführerschaft. Kann das gut gehen? Ich stelle dies in Frage. 

Versuchen wir die Strömungen zu verstehen und nicht zu bekämpfen und machen wir auch diesen Menschen ehrliche (!) Angebote mit höchster Qualität der Produkte und Produktionsmethoden sowie Authentizität in der Vermittlung. Vermutlich nur eine Nische, aber eine Nische, die die Tragfähigkeit  der Landwirtschaft dauerhaft verbessern könnte und wieder eine bessere Verbindung zwischen den Ansprüchen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen schafft.


Ein Versuch wäre es wert.

OC

PS heute (7.12.2014) erschien dieser Beitrag im Feuilleton der FAZ, übrigens entdeckt, nachdem ich den Blog geschrieben hatte. Wie heißt es im Englischen so schön: Do I have to say more?

Das Bild stammt aus dem Film "Das große Fressen" von 1973